Weiterdenken – mein Vortrag in Hainfeld am 21.5.2022

Weiterdenken – mein Vortrag in Hainfeld am 21.5.2022

Letzten Samstag durfte ich mein Buch in Hainfeld präsentieren. Ich war natürlich sehr aufgeregt und hatte mich tagelang darauf vorbereitet. In den ersten 30 Minuten sollte es um die „Geschichte der sozialen Verantwortung“ gehen und dann, nach einer Pause, in den nächsten 40 Minuten um das Thema „Eigenverantwortung heute“. Ursprünglich war die Präsentation am Viktor-Adler-Platz geplant gewesen, was einen gewissen Witz gehabt hätte, weil der Mitbegründer der sozialdemokratischen Partei Österreichs, der Arzt Victor Adler, ja in meinem Buch erwähnt wird. Aufgrund von starken Winden verlegten wir den Vortrag aber sicherheitshalber in den Kultursaal.

Die Veranstaltung fand im Rahmen des NÖ-Museumsfrühlings statt, was für mich auch deshalb naheliegend ist, da ich zusammen mit der Historikerin Margarete Kowall das Hainfeld Museum 2013 und 2014 konzipiert und eingerichtet hatte. Bei der Gestaltung des sogenannten „Einigungsparteitagsraumes“ kam ich auch der Persönlichkeit Victor Adler näher. Das größte Abenteuer war aber die Transkription des Einigungsparteitagsprotokolles 1888/89 aus der Frakturschrift. Die Reden der Delegierten aus allen Teilen der Monarchie beeindruckten in ihrer Klarheit und Kraft nachhaltig.

Margarete Kowall erinnerte in ihrer Einleitung an diese Zeit und unsere Zusammenarbeit beim Museumsaufbau. Sie hatte sich ihre Rede wirklich nett ausgedacht – sinngemäß: Ich erkläre euch jetzt, warum ich immer schon wusste, dass Alexandra einmal ein Buch schreiben wird. Ich war wirklich sehr berührt von dieser Vorstellung meiner Person.

Und so stand ich also da, trug mein Anliegen vor und suchte nach Verbindung – zu meinen heimatlichen Wurzeln und der Geschichte des Ortes, zu den Menschen, die mir aufmerksam und voller Freundlichkeit zuhörten und zu meinem Text, der mit jedem Vortrag auch mich selbst wieder ein Stück weit verändert. Ich kann diesen Prozess schwer beschreiben, aber es ist so. Der Text entwickelt sich weiter. Was mir in der Vorbereitung auf diesen Vortrag in Hainfeld klar wurde, ist zB, dass mich die Texte der Delegierten an Berichte erinnern, wie wir sie jetzt von Helfer:innen an den Außengrenzen Europas kennen. Menschen, die auch heute nicht wegschauen und den gestrandeten Menschen auf der Flucht beistehen. Sie schreiben Berichte ohne die Hilfe von Spin-Doktor:innen oder Werbestrategieberater:innen. Sie beschreiben das, was ist, sind einfach ganz da. Gerade deshalb kann man ihre Aussagen nicht schmälern. Man kann sie höchstens verdrängen und wegschauen. Wer wollte damals Ende des 19 Jh. um das Elend der Ziegelarbeiter:innen in Wien und ihre beinahe sklavenähnlichen Arbeitsumstände wissen? Wer interessiert sich heute für die Elenden an den Grenzen, die weder vor- noch zurückkönnen?

Was mir auch bei diesem Vortrag klarer wurde, und das ist im Buch noch gar nicht so herausgearbeitet, dass mir die Frage, wie kann ich mit der Umwelt fühlen, durch mein Engagement bei Yoga for Future dringlicher geworden ist. Natürlich wissen wir alle Bescheid, und das schon seit den 1970er Jahren, aber warum passiert dann das Gegenteil von dem, was heilsam für diese Planeten wäre? Sich wirklich gründen, es wirklich fühlen – mit den Insekten, den Meeren, dem Boden, der gerade versiegelt wird: Was bedeutet das konkret? Österreich ist Europameister in Bodenversiegelung und in Hainfeld wird auch fleißig asphaltiert. Wen kümmerts? Wer fühlt dabei Trauer um das unwiederbringlich Verlorene?

Sich in Ethik gründen heißt für mich, immer wieder das Gleiche zu wiederholen, um jedes Mal neue Kanten zu schärfen, alte Gedanken aufzufrischen und zu vernetzen. Insofern ist mein Buch ein Arbeitsbuch, auch für mich. Ich bin dankbar für die Gelegenheit darüber sprechen zu können. Es ist wie das Unterrichten von Asana- und Pranayamapraxis. Auch hier bringt mich das Sprechen darüber und die durchaus oft schon automatisierten Ansagen stets selbst ein Stückchen weiter.

Die Zuhörer:innen spendeten viel Applaus. Ich bekam schöne Feedbacks wie: „Das ist politischer als ich es mir vorgestellt hatte“, „inspirierend“, „anregend“. Wie schön auch, dass zwei Yogaschülerinnen ihre Ehemänner mitgenommen hatten, die durchaus angeregt nachher weiterplauderten. Yoga im Westen ist nicht nur etwas für Frauen und die Auseinandersetzung mit Ethik und Politik ebensowenig. Das muss sich allerdings erst herumsprechen. Denn Politiker:innen waren bis auf die Kulturstadträtin und Museumsleiterin, meine Freundin Anita Zehetmayer, keine gekommen. Warum das so ist, weiß ich nicht. Es wundert mich ein bisschen. Ich hätte gerne mit ihnen über meine Ansätze diskutiert. Aber ja, meine Rede: Moralisches Handeln basiert auf Freiwilligkeit. Wer nicht freiwillig kommt und von Herzen gerne zuhören möchte, der darf es also ruhig bleiben lassen. 😉

 

Danke meinem unverdrossenen Weggefährten Franz Witzmann für die schönen Fotos.