Dehnen lockt Gähnen. Über die Arbeit des Therapeuten Peter Cubasch

Dehnen lockt Gähnen. Über die Arbeit des Therapeuten Peter Cubasch

Gegähnt habe ich immer schon leidenschaftlich gerne! Und so war es für mich nur logisch, das Gähnen auch mit dynamischen Bewegungseinheiten im Yoga zu kombinieren. Für die Ausgabe der Yoga-Info 1.2022 konnte ich mit dem in der Nähe von Wien lebenden Gähnforscher Peter Cubasch ein Gespräch führen, was mich besonders freute. Er ist ein „Missionar des Gähnens“, hat darüber bereits zwei Bücher geschrieben, bietet Seminare und sogar kostenlose Zoom-Gähneinheiten an.

Online Gähnen üben

Ich besuchte zwei dieser halbstündigen Onlinemeetings. Einmal zum Schwerpunkt „Gähnen und Dehnen“, wo viel von Ausweitung und Raum nehmen die Rede war, und einmal mit dem Fokus auf den Halsbereich. Was passiert im Hals beim Ein- und Ausatmen, wo ist Ausdehnung spürbar und wie fühlt sich das Gähnen z. B. in der Drosselgrube oder im Kehlkopfbereich an?
Tastend, massierend, sinnlich, hin spürend, forschend und vor allem dehnend, so lockt der Atem- und Psychotherapeut den Gähnreflex. Er spricht dabei viel von durchlässig und resonanzfähig werden und im Kontext von Gefühlen auch von Berührbarkeit.

Gähnen wirkt wie ein Reset-Knopf

Gähnen ist jedenfalls ein natürlicher Impuls, der dem Körper spontane Entspannung ermöglicht. Cubasch: „Es ist ein chaotisierender und gleichzeitig ein neu ordnender Reflex. Wenn ich die ganze Zeit vor dem Handy sitze, dann muss ich mal spontan durchatmen, aber auch, wenn ich voller Angst und verspannt bin. Gähnen hilft Verspannungen aller Art zu lösen, körperliche, mentale und emotionale. Und was besonders wichtig ist. Die Lunge wird beim Gähnen kräftigt gedehnt und kann sich danach wieder zusammenziehen. Auf diese Weise wird die Atmung in ihrem Rhythmus und in ihrer Intensität neu organisiert.“
Man könnte auch sagen: Gähnen wirkt wie das Drücken eines Reset-Knopfes. In den angespannten Lockdown-Zeiten eine besonders wohltuende Wirkung. Cubasch: „Ich hätte nie gedacht, dass das online möglich sei, weil es doch den persönlichen Kontakt und den Raum braucht. Aber Corona ist eine psychische Herausforderung – so viele Leute, die zu Hause sind, alleine, voller Angst krank zu werden. Da habe ich spontan gesagt, ich probiere es. Das war vor fast zwei Jahren. Jetzt biete ich das noch immer an. Es geht ja um das eigene Spüren und das funktioniert auch räumlich getrennt voneinander wunderbar.“
Obwohl bereits im Ruhestand, möchte er mit seiner Atemarbeit weiterhin Menschen begleiten – aus tiefster Überzeugung: „So mächtige Impulse wie Gähnen und Dehnen werden uns im Laufe der Sozialisation früh abgewohnt. Wir installieren Zwangsmechanismen, aber boykottieren damit uns selbst und wissen gar nicht, was uns da verloren geht. Daher müssen wir wieder Rahmen schaffen für lustvolles Gähnen. Es braucht Zeit, um die Leute zu ermutigen, aber dann funktioniert die Ansteckung.“

Gähnen lernen – das CHASMO-Training®

Zum Gähnen kam Cubasch eigentlich über den Yoga, als er in Indien bei Dr. Madan Kataria die Methode des Lach-yoga erlernte: „Als Musiker und Chorleiter war mir das Gähnen als Methode nicht unbekannt. Mir ist aber erst beim Lachyoga aufgefallen, dass die Leute, wenn sie wirklich befreit waren, so viel gähnten. Da wurde mir bewusst, wie viel das Gähnen mit Befreiung und Lösung zu tun. Ich begann darüber zu forschen.“
Inzwischen hat Peter Cubasch zwei Bücher über das Gähnen geschrieben und 2014 eine eigene Trainingsmethode, das CHASMO-Training®, präsentiert. Sie beruht auf den Grundlagen der aktuellen Gähnforschung (Chasmologie), den Konzepten der Atemtherapie nach Herta Richter sowie der integrativen Leib- und Bewegungstherapie nach H. Petzold.
Ich als leidenschaftliche Gähnerin muss nicht erst lange überzeugt werden. Ich spüre es ja: Gähnen ist eine wunderbare Methode, einen Entspannungsprozess einzuleiten, und eignet sich ideal, um von einer Stressphase in eine Entspannungsphase zu wechseln, z. B. am Anfang eine Yogastunde. Gähnen kann mich aber noch tiefer führen und in Kombination mit Dehnen oder Tönen immer subtilere Erfahrungen erschließen. Mit etwas Übung lockt es auch rasch meine Vitalreflexe wie Tränen, Nasen- oder Speichelfluss. Ins Fließen kommen, reinigen – auch das sprechen wir im Yoga gerne an.

Das Gähnen hat noch nicht den Stellenwert, den es verdient

2010 fand der erste Weltgähnkongress in Paris statt, worüber auch ein dickes, theoriestarkes Buch publiziert wurde. Alleine, es fehlt an solider Praxisarbeit. Gerade darum ist die Arbeit von Peter Cubasch so wertvoll. Es braucht konkretes Tun und Erfahrungen, auch als Vorbereitung für seriös geplante Studien, um wissenschaftsbasiertes Arbeiten zu ermöglichen. Gähnen mit System hätte auch im klinischen Bereich seinen Platz, so ist der Atemtherapeut überzeugt, z. B. bei Traumapatienten, aber auch bei vielen chronischen Erkrankungen wie Globusgefühlen, Zähneknirschen, Nacken- und Spannungskopfschmerzen, Bluthochdruck oder Schlafproblemen.
Cubasch: „Gähnen kommt in der Forschung zwar immer wieder mal vor, wenn es um Themen wie Mimik lesen, Empathie, Autismus oder Schizophrenie geht. Aber es ist immer nur ein Randthema. Mein Traum ist, bald eine klinische Studie mit einem Kollegen, einem Kognitionsforscher, aufzustellen. Wir möchten mit Burnoutpatienten eine Vergleichsstudie zwischen progressiver Muskelentspannung und Gähnen durchführen.“
Gähnen und Dehnen ist für Peter Cubasch Körperarbeit, um lebensfreundliche Muster herzustellen und verhindernde aufzulösen. Für solch tiefgreifende Prozesse braucht es allerdings Zeit und auch Übung. In Seminaren unterrichtet Cubasch lieber mehrere Tage und dafür weniger Stunden pro Tag: „Die Zeit dazwischen ist genauso wichtig wie das Üben selbst.“

Mein Fazit dieses Gesprächs mit dem österreichischen Chasmologen: Yoga und Gähnen haben viele Gemeinsamkeiten.

Buchempfehlungen:

Peter Cubasch: „Gähnen: Der natürliche Weg zu Entspannung und Wohlbefinden“ (2016)
Peter Cubasch: „Die Kunst des Gähnens: Der natürliche Weg zur Entspannung“ (2021)

www.cubasch.com