4 Eckpfeiler für ein Tieferdenken über Verantwortungsübernahme

4 Eckpfeiler für ein Tieferdenken über Verantwortungsübernahme

Dieser Text wurde für einen Vortrag im Rahmen des neuen BDY-Veranstaltungsformates imPULSforum geschrieben, den Yoga for Future mitgestaltet hat. Der Text basiert auf meinen Überlegung im Buch „Yoga und soziale Verantwortung“ und bezieht sich auf ein Video der Münchner Yogalehrerin Nico Raabe, das ebenfalls für die Veranstaltung produziert wurde und bei Yoga for Future zu finden ist. Nico hat die Initiative „Yoginis für Flugverzicht“ gestartet.

4 Eckpfeiler für ein Tieferdenken über Verantwortungsübernahme

Hallo, mein Name ist Alexandra Eichenauer-Knoll. Ich arbeite seit 2021 bei Yoga for Future mit. Ich komme aus Österreich und bin derzeit auch im Vorstand von Yoga Austria – BYO. Danke an den BDY dafür, dass unser Verband bei dieser Veranstaltung mit dabeisein darf.

Ich möchte jetzt gleich an den Film von Nico über freiwilligen Flugverzicht anschließen.

Das war ja ziemlich starker Tobak eigentlich, nicht wahr? Denn wir wissen alle, dass zumindest bis vor Corona Ausbildungen und Retreats in Asien geboomt haben. Ich kann mir vorstellen, dass jemand, der sich jetzt vielleicht schon auf eine Reise nach Thailand oder Indien freut, sich durch so ein Video angegriffen fühlt. Was erlauben sich die bei Yoga für Future, ist das jetzt die neue Yogapolizei, die mir sagt, was ich darf und was nicht?

Ich möchte euch heute 4 Eckpfeiler vorstellen, die beim Tieferdenken über Verantwortungsübernahme helfen können. Wir treffen uns ja hier, weil wir Verantwortung übernehmen möchten, Ideen entwickeln, Vorbild sein möchten – als Yogalehrende. Wir tun das auch aus einem moralischen Impuls heraus, sonst würde uns das Thema nämlich egal sein. Über Moral zu sprechen macht auch deshalb Sinn, weil der Yoga zutiefst in einer Ethik, genauer in Yama und Niyama verankert ist.

 

Ihr seht hier eine grüne Wiese, das ist quasi ein Denk- oder Übungsfeld für euren weiteren moralischen Überlegungen. Die Eckpfeiler auf dieser Wiese stecken das Feld ab. Und sie grenzen die Frage ab: was ist moralisches Handeln und was ist normales Handeln. Drei dieser Punkte gehen auf den französischen Soziologen Emile Durkheim zurück (Anm.: nicht zu verwechseln mit Karlfried Graf Dürckheim aus Deutschland, der auch in Yogakreisen bekannt ist.) Er definierte Anfang des 20. Jhd. bereits diese Kriterien für Moralität.

Beginnen wir mit der Freiwilligkeit
Die Initiative, die Nico gestartet hat, heißt Yogi:nis für Flugverzicht und nicht: für Flugverbot. Es ist also ein freiwilliger Flugverzicht. „Yoga for Future“ will ja natürlich keine Yogapolizei sein, sondern Empfehlungen abgeben und Impulse setzen. Das ist wichtig zu verstehen. Yoga ist ein Weg in die Freiheit, der Geschmack von Freiheit soll hier mitschwingen und damit auch die Freude am Tun.
Pflichten und Vorschriften sind in einer Gesellschaft natürlich auch wichtig, aber da sprechen wir nicht mehr von Ethik. In Frankreich ist es z. B. verboten, Gemüse in Plastikfolie einzuwickeln, dort halte ich mich an die Gesetze, in Deutschland und Österreich ist es noch erlaubt. Hier kann ich mich bewusst dafür oder dagegen entscheiden und durch mein Konsumverhalten etwas bewirken.

Freiwillig auf etwas verzichten – der nächste Eckpfeiler: Verzicht
Der Verzicht gehört zu jeder Verantwortungsübernahme in einem moralischen Sinn dazu. Warum? Für Durkheim ist Verzicht ein Erkennen der eigenen Begrenztheit – im Kollektiv einer Gesellschaft. Ich kann nicht alles besitzen, es gibt noch ca. 9 Millionen Österreicher:innen und rd. 7 Mrd. Menschen weltweit. Verzicht ist eigentlich logisch, nicht wahr?
Doch der Verzicht hat keinen guten Ruf, gilt oft als Eingeständnis von Abstieg oder Erfolglosigkeit in einer Leistungs- und Konsumgesellschaft, wo scheinbar alles möglich scheint, sofern man nur über genügend Finanzkraft verfügt. Hier braucht es ein Umdenken, ein tiefes Verständnis davon, warum Verzicht keine Niederlage, sondern vielmehr eine Befreiung ist – ein Zeichen von Stärke und Einsicht.
Wir Yogalehrende können darüber sprechen und dem Verzicht ein besseres Image verpassen – z. B. wenn wir am Anfang der Stunde über das Yama aparigraha sprechen, nicht horten.

Verzicht und Verbundenheit – zwei Seiten einer Medaille
Die eine Seite der Medaille ist also die Begrenztheit in einem Kollektiv, die Kehrseite der Medaille ist die Verbundenheit in einem Kollektiv. Wir Yogalehrende unterrichten Verbundenheit, zu mir selbst und zu den anderen. Eine Verbundenheit, die sich spüren lässt. Das erleichtert Beziehung und es erschließt sich tieferer Sinn. Wir handeln, weil wir verbunden sind – mit Menschen, die unter der Klimaerhitzung leiden, mit Tieren, die vom Artensterben bedroht sind, und mit der Natur, dem vergifteten Wasser, dem sauren Boden … Wir fühlen aber auch mit den zukünftigen Generationen. Bei Hardy Fürch habe ich das erste Mal das Wort enkeltauglich gelesen. Es braucht diese spürbare Verbundenheit, auch für die Verantwortungsübernahme. Vielleicht geht es nur darum, dass wir uns dessen als Yogalehrende bewusstwerden.

Und damit sind wir beim jüngsten Eckpfeiler – Yoga for Future, der Zukunftsorientiertheit
Schaut an dieser Stelle ganz logisch aus, vor etwas über 100 Jahren war es das aber noch gar nicht. Emile Durkheim hielt diese Vorlesungen an der Sorbonne 1902/03. Damals war die Natur nicht als etwas Beschützenswertes in den Köpfen der Menschen und Sorgen über die Zukunft galten nicht der Natur. Das hat sich erst in den 1970er Jahren geändert und seit damals ist die Zukunft auch in der Ethik angekommen. Heute heißt moralische Verantwortungsübernahme selbstverständlich an die Zukunft denken.
Was können wir Yogalehrenden in den Kursen dafür tun? Die Zukunftsprobleme sind ja eh seit 50 Jahren offensichtlich, trotzdem werden sie noch immer verdrängt, verharmlost oder die Verantwortung abgeschoben. Ich denke, es braucht hier ein tiefes Vertrauen, um die übermächtigen Ängste zu beruhigen. Wir Yogalehrenden unterrichten auch in das Vertrauen zu kommen, z. B. den Bauchatem zu vertiefen. Dann kann man überhaupt erstmal hinzusehen und darüber sprechen lernen. Und es wird leichter, erste kleine Schritte zu setzen. Das versuchen wir hier.

Diese Veranstaltung ist ein Pilotprojekt, aus der Sicht der Ethik macht sie zutiefst Sinn. Danke für die Aufmerksamkeit!