Yoga und soziale Verantwortung – ein Festvortrag

Ein Festvortrag anlässlich 30 Jahre Yoga Austria – BYO
gehalten per Zoom in Salzburg, 30.10.2021

Yoga und soziale Verantwortung ist ein Thema, das auf den ersten Blick sperrig klingt und nicht den gängigen Yogabildern entspricht. Denn in den Bildern und so auch in unseren Köpfen wird Yoga als Rückzug gezeigt, still vor der Kerze sitzend oder in einer schönen Pose am Strand. Situationen von sozialer Verantwortung sind hingegen oft hektisch, die Zeit ist knapp, es gibt Stress. Trotzdem kann man auch die Übernahme von sozialer Verantwortung so gestalten, dass sie in einem Zustand von Yoga passiert. Nämlich dann, wenn wir mit einer inneren bewussten Haltung hineingehen, also mit einer guten Ausrichtung und unser Tun auch explizit als Yoga-Übung verstehen.

Worauf beziehe ich mich? – Erstmal auf das naheliegendste, auf den achtfachen Pfad von Patanjali, also jene Stelle des Yoga-Sutra, die wir alle in unseren Ausbildungen sicher komplett beackert haben. Gleich auf der ersten Stufe finden wir die yama, richtungsweisende Ratschläge für ein gutes Verhalten in der sozialen Begegnung. Ich lege die yama als prozessorientiert aus, sie sind also nicht Gebote, kein „du sollst“ oder „du sollst nicht“, sondern sie sagen vielmehr, wenn du das tust, dann passiert das, und das in vielen kleinen Schritten. Diese Sicht passt auch viel besser zu Yoga als einem lebenslangen Erfahrungsweg.

Dann erst, auf der zweitenStufe, folgen die niyama, jene fünf Regeln für den Weg nach innen. Sie beschreiben das, was gemeinhin als Yoga in der Öffentlichkeit ankommt. Der Yoga beginnt aber, zumindest wenn man diesem achtfachen Pfad folgt, nicht auf dem Polster, sondern in einer sozialen Begegnung, wo eine Verantwortungsübernahme für mindestens einen dieser moralischen Grundsätze passiert. Und diese lauten: ahiṃsā, satya, asteya, brahmacharya und aparigraha.

Was bedeutet nun dieses konsequente Bemühen, möglichst gewalt- oder druckbefreit zu kommunizieren, der Wahrheit verpflichtet, gemäßigt, die Rechte anderer respektierend und so zu leben, dass wir nicht unnötig viel um uns horten? Es braucht nicht viel Phantasie um zu erkennen, wie notwendig diese Rückbindung an eine Moral gerade jetzt weltweit wäre. Die yama sind total modern, unglaublich angesichts der Tatsache, dass sie doch bereits vor über 2000 Jahren ausformuliert worden sind.

Auch in Österreich haben die Politskandale der letzten Zeit ein erschreckendes Maß an moralischer Verrohung erkennen lassen. Welchen Wert hat die Wahrheit noch, wenn die Fähigkeit, skrupellos zu lügen, ein rasches Vorankommen auf der Karriereleiter ermöglicht? Angesicht der immer neuen Korruptionsvorwürfe stellt sich auch die Frage: Wieso werden solche Vergehen, immerhin ist das Diebstahl am Volksvermögen (asteya), von vielen achselzuckend hingenommen? Das sollte uns als BürgerInnen interessieren, schließlich geht es ja um unser Geld, aber auch als Yogalehrende könnte uns das ein wenig beschäftigen, immerhin geht es ja um unsere moralischen Grundsätze.

Gerade dann, wenn große Umbrüche passieren, derzeit soziale und ökologische, suchen Menschen einen moralischen Halt. Die Yoga-Moral ist ein gutes Angebot, denn sie funktioniert auch ohne religiöse oder konfessionelle Dogmatik. Und sie ist ein selbstverständlicher Teil unseres Handwerkszeugs als Lehrende. Nutzen wir sie also. Jedes Engagement, jedes Gespräch, das mehr Klarheit und moralisches Bewusstsein in die Gesellschaft bringt, könnte in diesem Sinne also eine gute Yoga-Übung sein. Natürlich ist auch hier das Thema Überforderung zu beachten, wie wir ja auch auf der Matte achtsam üben sollen.

Und dann kommt Freude auf! So wie eine gelungene Āsana-Praxis sich zunehmend fließender anfühlt, der Körper geschmeidiger wird, so wie es fein ist, wenn sich Atem und Bewegung wie von selbst koordinieren, so kommt auch Freude auf, wenn unsere Aufgaben in der Gesellschaft zunehmend komplexer und anspruchsvoller werden, wenn wir also spürbar mit den Herausforderungen wachsen dürfen. Innen und außen, immer geht es auch um einen guten Umgang mit unserer Energie.

So und nun bin ich endlich dort angekommen – bei Yoga Austria – BYO. Der Verband ist ein gutes Feld, um sich zu engagieren und über die eigenen Aufgaben hinauszuwachsen, um Verantwortung für eine größere Gruppe zu übernehmen. Danke allen, die das bislang gemacht haben, danke jenen, die jetzt weitermachen und danke im Voraus schon allen, die sich vielleicht in den nächsten Jahren dazu entschließen werden.

Mir ist es wichtig, dass wir zwei Tatsachen klar haben:
– Yoga Austria – BYO ist ein Verband, also ein Kollektiv von Menschen, die erkannt haben, dass eine Institution die Interessen des Yoga besser vertreten kann als ein einzelner Yogalehrender. Wir stehen auch als Menschheit vor großen Herausforderungen, die wir nicht als Einzelpersonen bewältigen können. Wir brauchen viel Kollektive, die sich mit ihren Anliegen in die Gesellschaft einbringen.
– Der Verband sind wir, die Mitglieder. Yoga Austria – BYO ist kein Ufo, das auf der Wiese landet, worauf sich eine Türe öffnet und wir blicken in ein hell erleuchtetes Büro, die liebe Nora Gresch winkt heraus, wir tragen ihr unsere Wünsche vor und dann düst sie wieder ab. Leider nein! Auch wenn viele Abläufe institutionalisiert sind, der Verband kann nur so intelligent, kreativ, zukunftsorientiert und medienwirksam sein, wie es auch Mitglieder gibt, die sich mit ihren Talenten, ihrem Wissen und auch ihren Kontakten engagieren.

Es ist eine Wahrheit, der wir uns nicht verschließen sollten. Daher gehe ich jetzt nochmals in den Vorstand und versuche, eine jüngere Gruppe von Yogalehrenden zu erreichen, die nächste Generation. Wir brauchen Menschen, die das zutiefst verstehen: erstens, warum Verbandsarbeit wichtig ist, und zweitens, warum es individuelle, zeitlich limitierte, Verantwortungsübernahme braucht. Anliegen, für die Yoga Austria – BYO sich konkret einsetzt, gibt es genug: Verantwortung für den Ruf des Yoga im Westen, für eine Qualität der Aus- und Weiterbildung, für eine Berufsethik, Verantwortung auch dafür, das Berufsbild des Yogalehrenden wenn nötig noch nachzuschärfen, zB im Kontext der Komplementärtherapie.

Ich wünsche Yoga Austria – BYO und allen Mitgliedern alles Gute, möge es gut weitergehen und möge die nachkommende Generation die Begeisterung für das Kollektiv und für die Freude an der Verantwortung weitertragen.