Nahrung als Quelle von Freiheit und Glück

In einer Studie des Fred Hutchinson Cancer Research Center (Seattle) aus dem Jahre 2005 wurde beschrieben, dass Yoga dabei helfen kann Gewicht abzubauen bzw. weniger zuzunehmen. Denn Disziplin, eine bessere Körperwahrnehmung und Achtsamkeit im Alltag sind Qualitäten, die eine längere Yoga-Praxis mit sich bringt und somit einleuchtende Gründe für diese Ergebnisse.

Doch wie fühlt sich das konkret an?

Nun bin ich jemand, der nie Gewichtsprobleme hatte und der ein recht unkompliziertes Verhältnis zu seinem Körper(gewicht) hat. Allerdings kenne ich sehr wohl die Problematik des unachtsamen Essens – im Gehen, im Stehen, lesend, gestresst, erschöpft, müde, ratlos oder einfach nur traurig. Und dann stopfe ich in mich hinein, was gerade da ist. Oft habe ich mir schon gedacht, es wäre jetzt wohl besser gewesen, wenn ich nichts gegessen und statt dessen gute 10 Minuten auf der Yoga-Matte investiert hätte, um meinen Atem wahrzunehmen und zur Ruhe zu kommen. Denn nach dem Schlingen drückt mich mein Magen und ich fühle mich wie der böse Wolf aus dem Märchen mit den eingenähten, spitzen Steinen. Die Speisen werden zu einer Last, die ich herumschleppen und dann erst recht schmerzhaft verdauen muss.

Als wir im Dezember 2006 unser Yoga-Abschlussseminar im Haus Maitreya bei Passau hatten, spürte ich so klar und intensiv wie noch nie zuvor, welchen Unterschied es macht, achtsam und entspannt zu essen. Die Rituale des gemeinsamen Essens, die von der Hausgemeinschaft im Sinne ihres Meisters Thich Nhat Hanh entwickelt worden sind, mögen zwar klösterlich anmuten und sind für den Alltag nicht unbedingt geeignet. Aber sie sind eine gute Struktur und ein freundschaftliches Angebot zur inneren Einkehr. Man trifft sich zur Essenszeit, bedient sich von den in der Mitte des Raumes aufgetischten Speisen und setzt sich schweigend zu einem der langen Tische. Ist der erste Tisch voll besetzt, wird ein Gebet gesprochen. Erst dann beginnt man zu essen, wieder im Schweigen. Für die nächsten 15 Minuten muss man mit dem Essen auf seinem Teller auskommen, erst danach läutet ein Gong und man kann sich nachholen. Dann ist auch Zeit für Gespräche.

Welche Konsequenzen hatten diese Rituale auf mein Spüren? Ich saß also zuerst hungrig vor meinem Teller und konnte nicht gleich losessen, weil ich ja erst auf das Gebet warten musste. Dabei hatte ich Zeit zu entspannen, meine aufgestaute Gier schwand. Nach dem Gebet aß ich bewusst langsam, da ich mir ja nichts nachnehmen konnte und nicht zu lange vor dem leeren Teller sitzen wollte – schließlich konnte man sich ja nicht unterhalten. Diese erzwungene Langsamkeit bewirkte, dass ich viel intensiver meinen Atem wahrnahm und dadurch tiefer zu atmen begann. Und es machte mich satt. Ja, nicht nur das Essen stillte meinen Hunger, auch der tiefe Atem bzw. die Kombination aus langsamen Essen und tiefen Atmen. Dabei betrachtete ich die hübschen Orchideen am Fenster und dachte an meine Zuhause, die ebenfalls prächtig sind. Nur leider habe nie Zeit sie zu betrachten. Es ist ja bekannt, dass auch ein angenehmes, liebevolles Umfeld sowie angenehmes Licht für ein bekömmliches Essen hilfreich sind.

Natürlich war unser Aufenthalt zu kurz gewesen um zu erforschen, wie sich mein Essverhalten weiter entwickelt hätte. Aber ich konnte mir damals wirklich vorstellen, immer weniger zu essen und trotzdem satt zu werden. Und ich hatte das Gefühl, der Freiheit wieder ein Stückchen näher gekommen zu sein. Zurück im Alltag konnte ich diese Erlebnisse nicht wiederholen. Aber ich nehme mir vor, eine Struktur bzw. Rituale zu überlegen, um mir wieder eine Chance zu geben.

2 Tischgebete

All denen, die Tischsprüche als Einstimmungsritual zum Essen suchen, seien hier 2 kleine Gebete an Herz gelegt:

Mit Kindern, Händchen haltend:

Piep – piep – piep – wir haben uns alles lieb. Piep – piep – piep – und guten Appetit!

Erde und Himmel haben dies gebracht,
mit viel Liebe wurde es gemacht.
Achtsam und dankbar wollen wir essen,
Menschen nah und fern nicht vergessen.
Essen was uns nährt und gesund erhält,
dass der Samen der Liebe in guten Boden fällt.

Wie kostbar und süß schmeckt die achtsame Präsenz

Abschließend möchte ich noch ein zweites, sehr schönes und leider – so scheint es – nicht wiederholbares Erlebnis im Rahmen meiner Yoga-Ausbildung erzählen: Michael Kissener ließ uns eines Abends ruhig und achtsam mithilfe einiger gut angeleiteter Übungen im Meditationssitz ankommen. Dann legte er jedem von uns etwas in die Hände und wir waren angehalten, die Augen weiter geschlossen zu lassen. Wir betasteten das Ding, es war handlich und glatt, packten es langsam aus und rochen daran: Schokolade! Welch eine liebevolle Überraschung, wie wunderbar das duftete, welch ein Moment des Glücks! (Man bedenke: die Yoga-Ausbildung war ja auch anstrengend, besonders abends waren wir manchmal schon sehr erschöpft.). Wer wollte, konnte dann davon kosten, langsam, hinspürend, dem Dahinschmelzen nachsinnend.

Nie wieder hat mir Schokolade so gut geschmeckt wie damals! Auch wenn ich danach immer wieder köstliche Schokolade probiert habe, diese Intensität des süßen Augenblicks war nicht mehr nachvollziehbar. Es braucht wohl erst vorhergehende Yoga-Praxis, um so schmecken und genießen zu können!

Nachsatz zum Thema »Schlank durch Yoga«: Ein kleines Stückchen Schokolade hätte auch für das große Glück gereicht. Die ganze Tafel abschließend aufzuessen war eigentlich völlig unnötig.

Text: Alexandra Eichenauer-Knoll, erschienen in der Mitgliederzeitung von Yoga Austria-BYO 1/2007